Die Brandenburger Altstadt hatte einmal fünf Tore. Das Luckenberger Tor, dass jetzt Plauer Tor heißt, das Rathenower Tor, das Mühlentor, das Wassertor und das Neue Tor an der damaligen Langen Brücke. Der Zugang zur Neustadt erfolgte über das Steintor, das Schmerzker oder Lehniner Tor genannt, das Mühlentor, das Wassertor und das neue Tor in der Hauptstraße zwischen Wollenweber- und Lindenstraße. Das Lehniner Tor, was später bis zur Annenbrücke hinausgerückt wurde, erhielt dann den Namen Annentor nach einer vor dem Tor errichteten Kapelle, die...
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...der heiligen Anna, der Mutter Marias, geweiht war. Die beiden Städte Altstadt und Neustadt lagen entfernt voneinander und waren auch nicht verbunden, wie heute. Der untere Teil der Hauptstraße zwischen der Lindenstraße und der Langen Brücke war früher ein durch Sumpfgelände führender Damm. In grauen Vorzeiten standen die beiden Städte nur mit der Burg auf der Dominsel in Verbindung. Als später die Verbindung zwischen beiden Städten hergestellt wurde, erhielten die beiden neu erbauten Tore, den Namen Neues Tor. Die lagen sich gegenüber und sind heute verschwunden. Nach dem Neuen Tor der Neustadt hieß die Hauptstraße früher Neue Torstraße. Der Turm des Neustädtischen Neuen Tores hieß Ehebrecherturm.
Von den damaligen Toranlagen sind heute nur noch die Tortürme erhalten.
Man muss gutes Vorstellungsvermögen haben, wie das früher alles funktionierte. Eine hölzerne Zugbrücke über den Wallgraben führte zu den Toreingängen, die bei den meisten Toren in unserer Stadt neben dem Torturm lagen. Der Wehrgang führte über das Tor hinweg zum Turm, der den Turm mit Manneskraft beherrschte und verteidigte. Durch eine seitliche schwere Tür gelangte man von der Stadtmauer aus in das erste Geschoss des Turmes. Wer genau hinschaut, kann an der Struktur der Steine mit etwas Vorstellungskraft noch die seitlichen Eingänge erkennen.
Beim Neustädtischen Mühlentorturm und Rathenower Turm hatte man zu den Nutzungszeiten auch die Möglichkeit des Leiterzugangs, um ins 1. Geschoss zu gelangen. Vor allem bei der schnellen Torbesetzung war dies von Nutzen. Wir müssen uns weiter vorstellen, dass auf dem obersten Stockwerk der Tortürme die Wehrplatte war, die von einer Brustwehr umgeben war. Nach dem Stadtgraben hin hatten die Türme Aportanlagen, die aus den oberen Geschossen heraustraten. Das Erdgeschoss der Türme wurde oft als Gefängnis genutzt. Der Zugang war meist in der Mitte des Deckengewölbes. Im ersten Geschoss war die Wachstube.
Die Tore waren durch Vortore gesichert, die wegen ihrer Bauart nur noch in den Vorstellungen existieren. So hatte das Rathenower Tor ein Vortor, von dem man über eine Brücke zum Haupttor gelangte. Die Brücke war durch Mauern gegen mögliche Feinde geschützt. Der von den Brückenmauern eingeschlossene Raum wurde „Zwinger“ genannt.
Der stärkste Turm war der 30 m hohe Steintorturm. Er hat einen Durchmesser von 11 m. „Inschriften“ im Erdgeschoss belegen, dass der Turm auch lange als Gefängnis gedient hat. Die älteste Jahreszahl stammt aus dem Jahr 1622. Das schöne alte Stadttor, im 18. Jahrhundert gebaut, wurde 1839 abgebrochen. Das kleine Torkontrollhäuschen verschwand 1844. An dieser entstand ein Wohnhaus, das 1926 beim Neubau der 24 m breiten Steintorbrücke mit dem ganzen übrigen Steintorviertel der modernen Zeit auch weichen musste.
Der Luckenberger/ Plauer Turm wurde wahrscheinlich um 1400 erbaut. Im Spätmittelalter war der Torturm mit dem zinnenbekrönten Plauer Stadttor verbunden, zu dessen gewappnetem Wehrgang eine schwere Eichentür führte. Noch heute ist an der Nordwestseite des Turms der vorragende Aborterker über dem früheren Stadtgraben sichtbar, der uns die exakte Position der damaligen Wachstube verdeutlicht. Der Plauer Turm war besonders stark befestigt. Dies hatte seinen Grund.
Waren es doch die zahlreichen Fehden mit dem Magdeburger Erzbischof und seinen Vasallen, die der Altstadt zu schafften machten. Auch Johann von Quitzow sorgte für ständige Angriffsüberraschungen. Nachdem der spätmittelalterliche Plauer Torturm über eine längere Zeitdauer in seinem halb verfallenem Bauzustand belassen worden war, erhielt er im Vorfeld der anstehenden Jahrtausendfeierlichkeiten der ehrwürdigen Havelstadt im Jahr 1929 einen zackenförmigen Turmkranz und einen gemauerten Spitzkegel, der von einem geschmiedeten Storchennest komplementiert wird.
Der Neustädtische Mühlentorturm wurde vom Meister Martin Nikolaus Kraft aus Stettin 1411 gebaut. Der Altstädtische Mühlentorturm wurde 1802 niedergelegt, er befand sich ungefähr in der Mühlentorstraße bei den Häusern 14/15. Das Mühlentor der Neustadt fiel 1836 dem Abbruch zum Opfer. Viel früher verschwanden die beiden Wassertore, so um 1730. Das Annentor wurde 1830 abgerissen.
Es gilt als gesichert, dass der Rathenower Turm der älteste gemauerte Torturm der Stadt an der Havel ist, dessen erster Abschnitt um das Jahr 1300 errichtet worden war. An den zunächst als schlichtes Torhaus existierenden Wehrbau schloss sich stadtauswärts eine erste hölzerne Zugbrücke an. Zehn Jahre danach dürfte dieser Bau auch stadteinwärts erweitert worden sein, so Tschirch in seinem Buch über die Stadtgeschichte Brandenburgs.
In den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts haben geschickte Bauhandwerker die beiden Obergeschosse fertiggestellt, deren Fassaden mit Stich- und Spitzbogenblenden geschmückt sowie mit großen Kreis- und Wappenblenden versehen worden sind. In der Mitte des 14. Jahrhunderts ließen die Altstädter Bürger ein robustes Verlies in das Souterrain (Während der Keller vollständig unter der Erdoberfläche liegt, ist das Souterrain nur teilweise unterirdisch. Im Klartext: Ein Teil der Außenwände des Souterrains steht über der Erdoberfläche, sodass Tageslicht durch Fenster gelangen kann.) des Turmes einbauen und das darüber liegende Geschoss zu einem gewölbten Waffendepot umfunktionieren. Zwei Jahrhunderte später erfolgte schließlich eine letzte Aufstockung des quadratischen Turms, dessen Abschluss ein gemauerter und spitz zulaufender Kegelhelm bildet. Somit hatte der Rathenower Torturm seine endgültige Höhe von 28 Metern erreicht. 1911 wurden die quadratischen Grundmauern des Rathenower Turms von zwei Seiten durchbrochen und ein passabler Fußgängerdurchgang angelegt.
Ein paar Bemerkungen noch zum Ehebrecherturm. Ein gotischer Turm mit annähernd quadratischem Grundriss, Renaissancegiebel und -gauben, im Kernbau jedoch von einer umlaufenden gotischen Gardenreihe geziert, ca. fünfzehn Fuß im Quadrat und etwa siebzig Fuß hoch, schloss die Neustadt havelseitig gegen die Altstadt ab. Der Turm stand damals an der Ecke des Hammerschen Hauses (Hauptstraße 28). Der Turm selbst stand am Kreuzungspunkt Hauptstraße/Wollenweberstraße/Lindenstraße und bewachte den Havelübergang zur am anderen Havelufer gelegenen Schwesterstadt.
Der eigentümliche Name dieses Bauwerks rührt wohl daher, dass man untreue Eheleute bevorzugt in ihm verwahrte und in seinen Mauern über ihre Verfehlungen nachdenken ließ. Im Jahre 1803 waren die Stadtoberen des Turmes überdrüssig und ließen ihn niederlegen. Übrigens, der Stadtteil vorm Ehebrecherturm war damals noch unbebaut. Die Erlaubnis dort zu bebauen, wurde erst 1455 erteilt. Da die ganze Gegend sumpfig und von Gräben durchzogen war, baute man die Häuser auf Pfählen. Die Straße erhielt dann den Namen „Venedig“.
Der zunehmende Verkehr der Neuzeit suchte neue Wege, die alte Heerstraße hatte „ausgedient“ und der neue Steinweg von über Potsdam nach Brandenburg und Magdeburg verlangte neue Verkehrsführungen. Mehrere alte Tortürme, die verfallen und der Durchfahrt hinderlich waren, wurden abgebrochen. Früher spielte der Denkmalschutz nicht die Rolle, wie in der heutigen Zeit und so manche Änderung der Straßenführung wurde aus rein wirtschaftlichen Gründen im Rathaus beschlossen. Auch spielten die Kriegsunruhen und fiskalischen Engpässe in der Zeit um 1800 bei der Stadt eine nicht unbedeutende Rolle, dass so manche Entscheidung nicht im Interesse einer geordneten Stadtentwicklung ablief. Hätten nicht einige Brandenburger Maler die Türme in ihrer Zeit festgehalten, würden wir heute uns nur sehr oberflächlich an so manchen Turm erinnern können, wie sie mal ausgesehen haben.
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