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Pandemiegerechter „Faust“ eröffnet die neue Spielzeit im Brandenburger Theater

Theater
  • Erstellt: 05.09.2020 / 16:01 Uhr von Helga Stöhr-Strauch
Wer Goethes „Faust“ sehen möchte, weiß worauf er/sie sich einlässt: Lange Textpassagen, dramatische Situationen und richtig schwerer Tobak. Es geht um die Frage, was ein Mensch erkennen und verstehen kann. Es geht um Leidenschaft, Verantwortung, Religion, Glaube, Liebe, Tod und Schmerz. Also um die ganz großen Themen, mit denen man sich zumindest einen Abend lang beschäftigen kann. Das erfordert Aufmerksamkeit, Geduld und Einfühlungsbereitschaft. Im Brandenburger Theater, wo am Samstag die eigentlich für vergangenen März geplante Premiere nachgeholt wurde, wird man mit weiteren Anforderungen konfrontiert, mit denen man zunächst nicht gerechnet hat.
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Sie betreffen sowohl das Potsdamer Theater „Poetenpack“, mit dem die Brandenburger eine enge Kooperation anstreben, als auch die Veranstalter. Und natürlich das Publikum selbst. Denn es ist immer noch Corona. Und so sahen sich die Künstler, die im Frühjahr eine fertige Premiere „im Kasten“ hatten, gezwungen, ihr Stück den Gegebenheiten anzupassen: Ein Teil der alten Besetzung musste ausgetauscht werden (freischaffende Künstler leben von Stückverträgen, die eingehalten werden müssen), die Inszenierung musste pandemiegerecht umgestrickt werden (keine szenische Nähe, keine Berührungen) und auch die Saal-Akustik machte Ärger, weil sie von der aufgedrehten Belüftung beeinträchtigt wurde. Was wiederum für die Zuschauer bedeutet: Es ist sehr frisch im Saal. Und man sollte seine Ohren spitzen. Die Pause beträgt (wegen der nötigen Durchlüftung) 30 Minuten, so dass der Theaterabend auch recht lang wird. Und es ist einfach eine seltsame Situation, wenn das Große Haus nur zu einem Drittel belegt ist. Theaterstimmung funktioniert anders.

Die Inszenierung von Kai O. Schubert ist solide. Man sieht ihr den großen Respekt für den Text und die verhandelten Inhalte an. Viele Nebenthemen (Gretchens Biografie, der Auftritt ihres Bruders, Fausts belastete Vaterbeziehung) finden Raum. Wobei ein paar beherzte Striche mehr auch angesichts der Gesamtlänge des Abends sicher nicht geschadet hätten. Andererseits arbeitet man mit dem für „Faust“-Verhältnisse sehr überschaubaren, gerade mal sechsköpfigen Ensemble geradezu wirtschaftlich, indem man es – pandemiebedingt - in verschiedene Rollen schlüpfen lässt. So tanzt Clara Schoeller, die als starkes Gretchen zu erleben ist, auch in der personalschwachen Szene „Auerbachs Keller“ mit. Hier spielt Gislén Engelmann, (alternativ: Julia Borgmeier), die sonst als Marthe Schwertlein agiert, die Oberhexe. Und gibt sich im dezent-lasziven Outfit (Ausstattung: Patricia Walczak) mikrofonschwingend und sehr heutig wummernden Techno-Bässen (Musik: Arne Assmann) hin. Andreas Hueck, der im richtigen Leben Intendant des Potsdamer Poetenpacks ist, spielt die Rolle des Faust mit Dauerfragezeichen. Er tastet sich durch seinen Part und gibt einen glaubwürdigen Zweifler. Justus Carrière als tänzerisch agierender Mephisto wirkt nicht wirklich gefährlich, meistert seine Rolle aber souverän. Ralph Bockholdt (alternativ: Willi Händler) nervt rollengetreu als besserwisserischer Famulus und sorgt so für ein bisschen Spaß an diesem inhaltsschweren Abend. Ansonsten gibt es viel Live-Musik, was die Atmosphäre verdichtet und dem behaupteten dramaturgischen Rahmen eine gewisse Berechtigung gibt. Denn das Ganze wirkt wie ein seltsamer Traum. Wie eine eiskalte Fahrt vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Weitere Aufführungen:
- So., 13.09., 16.00 Uhr
- Die, 27.10., Fr., 30.10., Fr. 29.11., 19.30 Uhr.
- Karten unter 03381/511 111 oder [brandenburgertheater.de].

Bilder

Foto: Helga Stöhr-Strauch
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