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Theater ohne Publikum? Ein Selbstversuch am Brandenburger Theater.

Theater
  • Erstellt: 13.02.2021 / 13:22 Uhr von Helga Stöhr-Strauch
Es herrscht fröhliche Betriebsamkeit im Brandenburger Theater. Gut gelaunt trage ich mich in die Anwesenheitsliste an der Pforte ein, bevor ich meinen Weg durch das Gänge-Labyrinth bis zur Studiobühne antrete. Hier wird heute die Premiere der kanadischen Boulevardkomödie „Die Bärenfalle“ von Rébecca Déraspe stattfinden. Hausintern und ohne Publikum. Ich weiß, dass die Künstler vom Potsdamer „Poetenpack“ seit Dezember an dieser deutschsprachigen Erstaufführung gearbeitet haben. Ich kenne den Text, habe mit dem Dramaturgen Willi Händler gesprochen und darüber geschrieben, dass der Künstlerische Leiter Frank Martin Widmaier mit dieser Produktion einen besonderen Coup zur Wiedereröffnung des Brandenburger Theaters geplant hatte.
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Die aber findet nicht statt. Zumindest nicht jetzt, denn der Spielbetrieb wird bis auf weiteres verschoben. Zum wiederholten Mal. Die Produktion selbst soll aber abgeschlossen und „verpackt“ werden. In Form eines Videofilms, den ein freundlicher Mitarbeiter dreht und der dem Ensemble wieder auf die Sprünge helfen soll, wenn der Lockdown endlich vorbei ist und die Theater nicht mehr schweigen müssen.

A propos Schweigen: Leere Stuhlreihen sind einfach ein gespenstischer Anblick. Immerhin habe ich das Glück, bei dieser hausinternen Premiere anwesend zu sein. Auch wenn ich kaum jemanden erkenne. Die Gesichter der im Publikum befindlichen Theaterleute sind hinter Masken verborgen. Man sitzt mit großen Sicherheitsabständen und es ist lausig kalt. Die Türen stehen offen und es zieht wie Hechtsuppe. Aber dann geht es los und wieder geht es ums Schweigen oder besser gesagt um ein „Schweige-Retreat“, das eine der beiden Protagonistinnen in die kanadischen Wälder treibt, wo sie dann eine mittelprächtige und zum Brüllen komische Lawine an Beinahe-Katastrophen lostritt.

Natürlich macht es Freude, bei der Geburt eines bis dato unbekannten Theaterstücks dabei zu sein. Die Dialoge sitzen punktgenau, das Timing ist sauber gearbeitet, und doch funktioniert diese moderne Konversationskomödie, die an Stücke wie z.B. Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ erinnert, nur bedingt. Und das liegt an der Stückdramaturgie, in der die Akteure immer wieder aus ihren Rollen ausbrechen und die Grenze zur „vierten Wand“, zum Zuschauer hin, überschreiten. Man findet dieses Verfahren vor allem im modernen Theater oder im Film, wo sich episches Erzählen mit der direkten Ansprache vermischt (vgl. die Filme von Woody Allen). Auch in „Die Bärenfalle“ wird mit Elementen des epischen Erzählens nach dem Motto „Was bisher geschah und außerdem geschieht“ gearbeitet, nur um gleich wieder der konventionellen Boulevard-Dramaturgie zu folgen, die dann aber durch die direkte Einbeziehung des Zuschauers wieder aufgebrochen wird. So entsteht eine unvermutet frische und durchaus amüsante Spannung, die sich im Zuschauerraum durch entsprechende Reaktionen entlädt. Der Zuschauer ist nie nur stiller Betrachter, sondern passt auf und fühlt sich in der Gemeinschaft mit anderen Zuschauern direkt angesprochen und im besten Fall auch aufgerufen zu reagieren. Davon lebt diese sehr schwungvolle Theaterästhetik, weshalb es auch verschwendete Mühe wäre, hier mit Aufzeichnung und Streaming zu arbeiten, wie es das Brandenburger Theater bei den Barockopern „Bastien und Bastienne“ und „Pimpinone“ praktiziert hat.

Natürlich gibt es auch ganz handfeste Gründe, „Die Bärenfalle“ jetzt mit einer hausinternen Premiere abzuschließen und dann bis zur „echten“ Premiere ruhen zu lassen. Arbeitsrechtliche oder finanzielle zum Beispiel. Oder ganz einfach die Dauerfahrerei, die die aus Berlin und Potsdam anreisenden Theaterleute vielleicht nicht mehr auf sich nehmen wollen, nachdem das Stück ja auch abgeschlossen ist. Abgesehen davon sollte man einen künstlerischen Prozess auch nicht bis ins Unendliche verlängern.

Ich jedenfalls habe neben zwei wunderbaren Stunden der Unterhaltung und der Erinnerung an eine Zeit vor Corona die Gewissheit bekommen, dass Theater ohne Publikum „zwar möglich aber sinnlos ist“, um mal einen genialen Brandenburger zu zitieren. Und ich weiß auch, dass sich das Brandenburger Theater schon heute in Stellung bringt. Für eine spannende Zeit nach dem Lockdown.

Bilder

Foto: Helga Stöhr-Strauch
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