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Wie eine Mutter gegen alle Widrigkeiten kämpft, um Autisten einen Wohlfühlort zu schaffen

Stadtgeschehen
  • Erstellt: 16.04.2024 / 19:01 Uhr von Antonia Wünschmann
Selbsthilfegruppen wie die von Carola Niekisch für Autisten und Angehörige in Brandenburg an der Havel bieten Betroffenen Halt und Unterstützung. Sie machen Mut und geben Kraft. Niekisch setzt sich nicht nur für ihre Gruppe ein, sondern auch für eine größere Sensibilisierung der Gesellschaft im Umgang mit Autismus. Aus der Selbsthilfegruppe wurde jetzt ein neuer Verein - mit Sitz im Ärztehaus-West in der Magdeburger Landstraße 5. Dort entsteht gerade ein neues Freizeitzentrum für Autisten.
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Carola Niekisch wurde 1973 in Lübz geboren und lebt heute in Brandenburg an der Havel. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder - eins ist Autist. Sie berichtet, dass sie lange vor dem vierten Geburtstag ihres Sohnes Christopher merkte, dass er anders als die anderen Kinder war. Nach der Diagnose “Autismus” hoffte sie mit ihrem Lebenspartner wie viele andere auf Hilfe, Informationen, Anleitungen und Beratungen für viele Lebenssituationen wie den Besuch von Kindergarten, Schule und sehr viel später auch für den Übertritt in eine besondere Art des Berufslebens. “Viel kam da nicht. Der Arzt, der uns ganze zehn Minuten nach der Diagnosemitteilung widmete, erklärte nichts zu diesem Krankheitsbild. Ich werde nie vergessen, wie verloren, ängstlich, ja verzweifelt ich mich auf dem Weg nach Hause fühlte…", berichtet Carola Niekisch. Sie erzählt weiter: “Da war nichts mit Ratschlägen oder wenigstens etwas Ermutigung.”

Doch Aufgeben war für sie keine Option. Sie besorgte sich so viele Fachbücher wie es nur gab, besuchte Seminare und lernte alles über Autismus, um ihr eigenes Kind besser zu verstehen und dafür zu sorgen, dass er ein möglichst gutes Leben in dieser Welt führen kann. Sie erzählt: “Ich bin keine Psychologin, aber mittlerweile doch eine echte Spezialistin für sämtliche Probleme des Alltags im Zusammenleben mit Autistinnen und Autisten. Hilfe für neue Fälle von Autismus gibt es in Brandenburg an der Havel noch immer nicht viel. Ich selbst sah den Wald vor lauter Bäumen nicht, bis mich irgendwann mein Mann fragte, warum ich das nicht eigentlich selbst mache? Er fragte, was ich von einer Selbsthilfegruppe halte - wäre das nicht etwas, das in unserer Stadt und auch für das Umland viel bewirken könnte?”

So kam es. Carola Niekisch gründete im April 2019 die Selbsthilfegruppe, die sich einmal monatlich trifft. Als Initiatorin der Gruppe steht sie telefonisch, als auch per Mail jederzeit zur Verfügung. Wer wirklich dringend Hilfe braucht, sollte nicht warten oder zögern, sondern sich bei ihr melden. “Lieber ein Anruf, als viel unnützes Leid” betont Niekisch. Sie sagt weiter: “Ich möchte nicht, das Autisten und ihre Eltern das durchmachen müssen, was wir selbst erlebt haben.”

Durch ihren starken inneren Antrieb blieb es bei Carola Niekisch nicht nur bei einer Selbsthilfegruppe. Nachdem sie eine Schiffsreise für einige ihrer Autisten organisieren und durchführen konnte, legte sich ein Schalter in ihr um. Einer ihrer Autisten weinte auf dem Schiff so sehr vor Glück, so etwas erleben zu dürfen. Er sagte ihr, dass jeder Autist so etwas erleben sollte. Ab diesem Moment gab es für Niekisch kein Halten mehr. Sie schrieb ein fast 50-seitiges Konzept für einen Autismus-Verein. Sie kämpfte sich durch den Dschungel der Bürokratie und bekam nach einigen Hürden ihre Zusagen. Das passierte alles im September letzten Jahres. Seitdem wächst das Projekt über sich hinaus. Der Verein heißt jetzt offiziell “Autismus-Point of Contact”. Carola Niekisch und ihr Team konnten sich Räumlichkeiten im Ärztehaus-West in der Magdeburger Landstraße 5 sichern, die jetzt so viel Platz aufweisen, dass der Traum einer Förderstätte entstand.

Genau so soll es jetzt kommen. Im Untergeschoss des Ärztehaus-West entsteht aktuell nicht nur eine Förderstätte, sondern ein ganzes Freizeitzentrum für Autisten - auch genannt “Der Klamsi-Club". Der Name bezieht sich auf die neue Kinderbuchreihe, für die Carola Niekisch im Januar 2022 die erste Ausgabe veröffentlicht hat. In dieser Reihe erzählt ein autistischer Junge seine Geschichten - und alles beginnt mit Klamsis erster Dampferfahrt. Klamsi ist in den Geschichten ein kleiner Frosch - im wirklichen Leben ist es Carolas autistischer Sohn Christopher. Mit diesen Erzählungen will die Autorin aufzeigen, dass Autismus keine Behinderung ist, sondern dass Autisten etwas “Besonderes” und “einzigartig” sind und wir alle viel von ihnen lernen können.

Die ersten Räume des neuen Freizeitclubs für Autisten sind bereits eingerichtet. So gibt es eine große Lobby mit gemütlichen Sofas, eine Küche für das gemeinsame Frühstück, einen Konferenzraum, eine Sofaecke für gemeinsames Videospielen, einen abgedunkelten Snoozle-Raum zur Entspannung, einen großen Förderraum, der zum Basteln, Bauen und Kreativ sein einlädt und das Büro von Carola Niekisch, in dem sie eine Gesprächsecke eingerichtet hat, die sie auch die >>Ecke der Tränen<< nennt. "Hier dürfen Eltern her kommen, mit mir reden und einfach mal loslassen, gerne auch weinen, einfach alle Tränen hier lassen, ich fange sie auf", erklärt die Initiatorin der Selbsthilfegruppe.

Nebenan ist jetzt auch eine alte Physiotherapie-Praxis frei geworden und da hat Carola Niekisch bereits Pläne, wie alles aussehen soll. Sie erklärt: “Es soll unter anderem ein Trainingsraum für Autisten entstehen, wo sie sich richtig auspowern und auch mal all die angestaute Wut rauslassen können oder balancieren können, um in ihr Gleichgewicht zu kommen. Autisten brauchen das! Sie brauchen auch die leicht abgedunkelten Fenster hier. Mit den Räumlichkeiten hatten wir echt Glück, weil sie perfekt zu den Bedürfnissen von Autismus passen. Möglichst viel Ruhe, wenig Einfluss von Außen und keine Reizüberflutung. Hier bei uns können Autisten sich vom sonst sehr anstrengenden Alltag erholen, zur Ruhe finden, in ihre Kraft kommen und soziale Kontakte knüpfen."

Der erste Freizeitclub für Autisten in Brandenburg an der Havel wächst und die Sensibilisierung für einen positiven Umgang damit auch. Carola Niekisch hat noch viel vor und freut sich über jeden Neuzugang. Auch Spenden sind sehr willkommen, denn so kann das Projekt schneller und weiter über sich hinaus wachsen. Die Mitglieder des Vereins wollen Autisten in Zukunft auch dabei unterstützen, eine eigene Wohnung oder eine Wohngruppe zu finden, die ihren Bedürfnissen entspricht. “Autisten sollen ein so selbstbestimmtes Leben wie nur möglich führen können, dafür stehen wir mit unserem Verein”, betont Niekisch.

Wer etwas für den Verein spenden will, der klickt hier: [Spende für Autismus Point of Contact].

Wer selbst mit einer Autismus-Diagnose betroffen ist oder Kinder hat, die Hilfe brauchen, der wendet sich direkt an Carola Niekisch und ihr Team unter der 0176/80402433 oder 03381/14108014 oder per E-Mail an: [selbsthilfegruppe-autismus-brandenburg@gmx.de].

Mehr Informationen zum Autismus-Spektrum und zum Alltag von Autisten gibts auf der Internetseite [www.autismus-pointofcontact.de].

Bilder

Carola Niekisch und ihr Team in der neuen Freizeitecke für Autisten, hier gibt es Raum für gemeinsame Videospiele.
Carola Niekisch und ihr Buddha, der im Eingang des neuen Freizeitclubs für Autisten sitzt.
Eingangsbereich
Lobby
Snoozle-Raum zur Entspannung
Eingang Förderraum
Förderraum
Büro von Carola Niekisch mit der Ecke der Tränen - ein Ort, wo Eltern auch mal loslassen und weinen dürfen.
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